Die Mehrheit der Bürger ist im Internet, was allein schon ein unglaublicher Wandel ist, der da innerhalb von 10 bis 15 Jahren stattgefunden hat. Nicht wenige verdienen ihr Geld im oder durch das Internet. Dabei meinen die meisten, wenn sie vom Internet reden, gefühlt zu etwa 80% World Wide Web, zu 15% E-Mail und zu 5% Sonstiges, wie Instant Messaging, VoIP-Telefonie, IRC-Chat, Peer-to-Peer-Anwendungen usw. Für viele Menschen ohne tiefere Internet-Kenntnisse sind Internet und World Wide Web schlichtweg Synonyme. Denn erst durch das Web ist das Internet ein Massenmedium geworden. Dabei ist das Web jedoch kein ultrakomplexes Produkt, sondern ein griffiges Konzept, das im Kopf eines einzigen Mannes entstanden ist.

Die Vorgeschichte

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Tim Berners-Lee [Wikipedia] (persönliche Homepage beim W3-Konsortium) ist ein bescheidener Zeitgenosse geblieben, obwohl seine kulturgeschichtliche Bedeutung immer wieder mit derjenigen von Johannes Gutenberg [Wikipedia] verglichen wird, und obwohl er als britischer Landsmann im Jahre 2004 von Queen Elizabeth II zum Ritter geschlagen [W3C] wurde. Der 1955 geborene Berners-Lee studierte Physik in Oxford und gelangte 1984 zum europäischen Kernforschungszentrum CERN [Wikipedia] in Genf. wo er 1980 erstmals als Software-Consultant tätig gewesen war.

Bereits Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre war Berners-Lee besessen von der Idee einer Software, die alles mit allem verknüpft. Die Idee selbst war ja dank Persönlichkeiten wie Vannevar Bush (siehe Vannevar Bush – Memex ) oder Ted Nelson (siehe Ted Nelson – Xanadu) nicht mehr neu. Doch in der Zeit, von der hier die Rede ist, war es alles andere als selbstverständlich, dass jemand wie Berners-Lee sich mal eben mit der bisherigen Hypertextgeschichte auseinandersetzen und auf vorhandenen Konzepten aufsetzen konnte. Das, was dazu nötig gewesen wäre, gab es einfach noch nicht: nämlich weltweit vernetzte, sofort verfügbare Information. Außerdem wurde Nelsons Terminus Hypertext erst Ende der 80er Jahre zu einem zumindest in der Wissenschaft verbreiteten Begriff.

Berners-Lee experimentierte zunächst mit einer selbst geschriebenen Software namens Enquire (to enquire = erkundigen, nachfragen, erforschen), die er bei seinem ersten CERN-Consulting 1980 konzipiert hatte. Er nutzte Enquire, um alles zu vernetzten, was er an persönlichen Daten und Dokumenten hatte: Adressen, Notizen usw. Enquire war ein lokal ausgerichteter Hypertext-Interpreter. Er erlaubte Links innerhalb eines Dateisystems und Links zu definierten Ankern innerhalb einer Datei, später auch zu Zielen jenseits des lokelen Dateisystems. Seine Informationen speicherte er in einer einzelnen Datenbankdatei. Doch damit war Berners-Lee auf die Dauer nicht zufrieden. Er wollte keine Hypertext-Software-Lösung für Einzelbenutzer oder geschlossene Arbeitsgruppen, sondern eine globale Lösung, ein dezentral auf beliebig weit entfernte, leitungsverbundene Rechner verteilbares Hypertext-System, das nicht aus einer Zentraldatenbank bestand. So kam Berners-Lee auf die Idee, seine Hypertext-Idee als Dienst für das Internet zu konzipieren.

Die Säulen des Web

Die meisten Internet-Dienste sind client-server-orientiert. Benutzer, die den Dienst nutzen wollen, verwenden einen Dienste-Client. Der Dienste-Client ermöglicht es, eine Anfrage in der diensteigenen Protokollsprache an einen anderen Rechner im Internet zu richten (Internet-Dienste werden durch sogenannte Portnummern unterschieden). Wenn auf dem angewählten Rechner ein entsprechender Dienste-Server läuft, bekommt dieser die protokolleigene Anfrage über die vereinbarte Portnummer zugewiesen, kann sie auswerten und entsprechend reagieren, z.B. durch Senden angeforderter Daten. Nach diesem Muster konzipierte Berners-Lee auch das World Wide Web. Wer Informationen auf einem Internet-Rechner anbieten wollte, benötigte einen dienste-spezifischen Server, in diesem Fall einen Webserver. Wer solche Informationen abrufen wollte, benötigte hingegen einen Web-Client. Berners-Lee entwickelte folgende zentrale Komponenten des Webs:

Nachdem die ersten Fassungen des Webservers und des HTTP-Protokolls zur Verfügung standen, konnte der erste Web-Browser zum Einsatz kommen. Es war ein reiner Zeilen-Browser für eine nichtgrafische Oberfläche. Auf Unix-Systemen war er typischerweise unter /usr/local/bin/www aufrufbar. Er benutzte eine zum Programmumfang gehörende Datei namens default.html als voreingestellte Startseite.

Screenshot von Tim Berners-Lee's Original-WorldWideWeb-Browser für Textoberflächen. Original siehe http://info.cern.ch/LMBrowser.html

Screenshot von Tim Berners-Lee's Original-WorldWideWeb-Browser für Textoberflächen. Original siehe http://info.cern.ch/LMBrowser.html

Screenshot von Tim Berners-Lee's Browser für NeXT-Computer. Original siehe http://info.cern.ch/NextBrowser.html

Screenshot von Tim Berners-Lee's Browser für NeXT-Computer. Original siehe http://info.cern.ch/NextBrowser.html

Der Browser für den Textmodus entsprach allerdings nicht Berners-Lee's Vorstellungen von der Zukunft von Hypertext. Anfang der 90er Jahre gewannen grafische Benutzeroberflächen immer mehr an Bedeutung. Berners-Lee selbst arbeitete bevorzugt mit NeXT-Rechnern, einem unix-basierten Edel-Betriebssystem von Apple-Gründer Steve Jobs. Der erste NeXT-Browser entsprach weitgehend dem, was Berners-Lee sich vorstellte.

Genauer betrachtet, dachte Berners-Lee nicht nur in den Kategorien Informationsangebot und Informationsnachfrage. Das Web sollte von Beginn an auch dazu dienen, das Anbieten von Information überhaupt zu ermöglichen. Der Web-Client, den Berners-Lee sich vorstellte, sollte nicht wie heute üblich ein reiner Browser sein, sondern ein Kombi aus Browser und Remote-Editor.

Auch etwas anderes ist an dem NeXT-Screenshot erkennbar: der Browser-Benutzer hatte die Möglichkeit, sich sein persönliches Stylesheet einzurichten. Für die Standardelemente der Original-HTML-Sprache konnte sich der Benutzer bequem einstellen, wie Elemente der entsprechenden Typen bei ihm erscheinen sollen. So hatten alle auf HTML basierenden Web-Dokumente für den Benutzer ein einheitliches Aussehen, das seinen persönlichen optischen Vorlieben entsprach. HTML selbst enthielt deshalb auch gar keine Sprachbestandteile für Formatierungen, abgesehen von primitiven Formatauszeichnungen wie Fettschrift oder Kursivschrift.

Die Kommerzialisierung des Web

Die Kommerzialisierung des Web begann mit einem jungen Mann, der von der Idee des Webs fasziniert war, aber eher mit Dollarzeichen in den Augen und weniger im Dienste der Enzyklopädie des menschlichen Wissens: Marc Andreessen [Wikipedia] entwickelte den ersten grafischen Web-Browser für bekanntere Benutzeroberflächen als NeXT. Sein Browser mit dem Namen Mosaic [Wikipedia] avancierte binnen kürzester Zeit zum Volkswagen des Web, erhältlich unter anderem auch für Microsoft Windows. Es war jedoch ein reiner Browser ohne Editier-Funktionalität. Damit war die erste entscheidende Weiche gestellt: die erste große Besucherwelle im Web war beeindruckt davon, in einem einfachen Anwendungsfenster Dokumente aus aller Welt betrachten zu können, die auch noch untereinander vernetzt waren, sodass man nicht viel mehr können musste als auf Links zu klicken. Doch den vielen tausend Menschen, die zwischen 1993 und 1994 durch Artikel in namhaften amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften auf das Web aufmerksam wurden und das Glück eines Internetzugangs hatten, wurde durch den Mosaic-Browser auch vermittelt: da gibt es ein paar Gurus, die wissen, wie man Dokumente ins Web bringt, und von denen hängt letztlich ab, was im Web angeboten wird.

Nicht Berners-Lee, sondern Andreessen war es, durch dessen Software-Fenster die Welt das Web erblickte. Gemeinsam mit James H. Clark gründete er eine neue Firma namens Netscape [Wikipedia], die einen auf Mosaic basierenden Browser namens Netscape Navigator [Wikipedia] entwickelte. Dieser Browser brach mit einem weiteren zentralen Konzept von Berners-Lee. Statt dem Benutzer zu überlassen, wie er Inhalte optisch dargestellt bekommen möchte, baute Netscape die HTML-Sprache munter und spontan zu einer bunten Formatiersprache aus. Autoren von Webseiten konnten plötzlich mit Hintergrundfarben, Hintergrundbildern, bunten und veränderlich großen Texten arbeiten, Informationen in mehrere Frame-Fenster verteilen und mit einer kleinen Scriptsprache namens JavaScript allerlei Unfug treiben. Dier Beruf des Webdesigners war geboren (mittlerweile versteht man unter einem Webdesigner natürlich etwas anderes als jemanden, der Texte bunt macht und Benutzer mit kleinen trivialen dynamischen Effekten nervt).