Text wird „der Reihe nach“ geschrieben und gelesen. Alle Schriftkulturen kennen eine Schreibrichtung [Wikipedia], sei es von links nach rechts Zeile für Zeile, von rechts nach links Zeile für Zeile, oder von oben nach unten Spalte für Spalte. Die Schriftzeichen sind also in einer bestimmten Richtung linear angeordnet.

Man kann das als natürliche Linearität bezeichnen. Denn Linearität auf dieser Ebene entspricht der gesprochenen Sprache. Auch beim Sprechen ist es nicht möglich, alles auf einmal zu sagen. Je komplexer etwas zu Sagendes ist, desto wichtiger ist es sogar, „der Reihe nach“ zu erzählen, damit das Gesagte verständlich ist. So wie Sprechen natürlicherweise in der Zeit stattfindet, benötigt Schreiben natürlicherweise Raum zur Darstellung.

Neben der natürlichen Linearität gibt es jedoch noch eine andere Linearität, die medienabhängig ist. Vor allem die Kultur des Buches, in der wir alle noch mehr oder minder stark verwurzelt sind, hat ein solches Medium geschaffen. Ein Buch besteht aus zusammengebundenen Seiten. Es kann sehr viel Text enthalten. So viel Text, dass die gesamte Textmasse in aller Regel in Abschnitte, Kapitel, Unterkapitel usw. aufgeteilt wird. Dabei erwecken viele Bücher den Eindruck, als ob die einzelnen Textbereiche genau in der Reihenfolge angeordnet sein müssen, in der sie im Buch erscheinen. Die meisten Leser folgen auch tatsächlich der vorgegebenen Reihenfolge, ohne sie in Frage zu stellen. Sie vertrauen sich also der vorgegebenen Reihenfolge der Textbereiche an.

Angesichts dessen ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch elektronische Medien zunächst vergleichbar dem Buch „linear“ konzipiert wurden: klassisches Radio und Fernsehen übertragen ihre Inhalte ebenso linear wie ein Buch. Das Angebot besteht aus Programmen, die aus Sendungen bestehen. Sendungen haben meistens einen internen Ablaufplan, z.B. wann welcher Song gespielt wird, wann welches Interview gesendet wird usw. All das wird an einer Zeitlinie ausgerichtet, die ebenso linear ist wie die Seiten eines Buches.

Zeitliche und räumliche Linien dieser komplexeren Art sind jedoch nur medienbedingt zwingend. Es gibt keinen inhaltlichen Grund dafür, warum Nachrichten zur vollen Stunde beginnen, oder warum ein Computerfachbuch zuerst PHP behandelt und anschließend MySQL. In den meisten Fällen werden allenfalls Gründe „linear“, um so etwas sinnvoll oder zweckmäßig erscheinen lassen.

Die natürliche Linearität bei Texten steht also außer Frage. Wie „lange“ eine solche natürliche Textlinie ist, hängt vom Inhalt des Textes ab. Eine lange Geschichte besitzt eine umfangreiche natürliche Linearität, während eine einzelne Nachricht aus wenigen Sätzen besteht. Medienbedingte Linearität ist demgegenüber häufig nicht inhaltlich begründbar. Durch dominierende Medien wie Buch, Radio und Fernsehen sind wir die medienbedingte Linearität einfach nur so sehr gewöhnt, dass wir ihr in der Regel ohne Murren folgen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte keimte jedoch die Erkenntnis, dass sich viele Inhalte auch für nicht-linear organisierte Medien eignen.

Strukturierte Texte als Basis für Hypertext

Stark strukturierte Bücher, besonders Sachbücher, enthalten typischerweise Abschnitte, Kapitel und Unterkapitel. Der Fließtext enthält diverse Querverweise. Zusätzliche Informationszugänge wie Inhaltsverzeichnis, Stichwortverzeichnis usw. haben einerseits Übersichtsfunktion und verführen den Leser andererseits dazu, sich in dem eigentlich linearen Medium auch mal nicht-linear zu bewegen. Es gibt sogar Bücher, die gar nicht dazu gedacht sind, von vorne nach hinten gelesen zu werden: Lexika beispielsweise, oder Bücher mit Kochrezepten.

Quelle: Wikimedia

Quelle: Wikimedia

Es ist also durchaus möglich, sich nicht-linear in einem Buch zu bewegen. Allerdings ist es ziemlich mühsam. Viel Blättern ist nötig, um zwischen Verzeichnissen und gewünschten Textbereichen zu wechseln, oder um einem Querverweis zu folgen. Noch viel mühsamer wird es, wenn ein „Sprung“ zu einem ganz anderen Buch führen soll. Allein der Weg zu dem anderen Buch kann Tage, Wochen und Monate dauern, wenn das Buch erst bestellt oder aus einer entfernten Bibliothek geliehen werden muss.

Hypertext ist zunächst einmal nichts anderes als die Idee, Sprünge von einer Information zu einer anderen oder Sprünge von einer Übersicht zu einer bestimmten Stelle sofort ausführbar zu machen. Der Vorteil davon ist, dass der Sprung im Augenblick des spontanen Interesses erfolgt. Die zeitraubende körperliche oder geistige Energie, um den Sprung auszuführen, wird auf ein vernachlässigbares Minimum (z.B. einen Mausklick) reduziert. Um solche Sprünge zu ermöglichen, sind einerseits ausführbare Verweise erforderlich (Hyperlinks), aber andererseits auch adressierbare Verweisziele (Anker). Außerdem wird ein elektronisches Medium benötigt, das Inhalte, Verweise und Anker speichern kann, und das Zieladressen sehr schnell auffinden kann.

<aside> 🔸 Weiter: Computer und Hypertext

</aside>