Klassische Hypertext-Konzepte basieren auf Inhaltseinheiten und deren Vernetzung durch Verlinkung. Jede Inhaltseinheit hat eine bestimmte Adresse, auf die Verweise zeigen können. Auch das klassische World Wide Web folgt diesem Grundsatz. Inhaltseinheiten haben URIs als Adressen und sind auf diese Weise verlinkbar. Doch dieses Schema allein hat sich im Web, dem einzigen Hypertext-Entwurf, der wirklich erfolgreich wurde, auf die Dauer als zu statisch erwiesen. Eine der Veränderungen, die heute unter dem Begriff Web 2.0 [Wikipedia] zusammengefasst werden, besteht darin, dass sich Inhalte und sogar ganze Webanwendungen von ihren originären Orten lösen. Im Bereich der Inhalte sind es vor allem die sogenannten Feeds, die für eine solche Loslösung sorgen. Bei Webanwendungen, die ihre Ausgabe wo ganz anders als an ihrem Ursprungsort verrichten, spricht man von Widgets oder Gadgets.
In den späten 90er Jahren, als der erste große Boom des Web über die Welt hereinbrach, arbeiteten Tim Berners-Lee und ein Expertenteam bereits an künftigen, fundamentalen Veränderungen für das Web. Mit der Exensible Markup Language (XML) [Wikipedia] wollten die klugen Köpfe des W3-Konsortiums das logische Fundament für flexible Datenstrukturen und Datenverarbeitungsprozesse im Web legen. Zunächst war es allerdings schwierig, gewöhnlichen Web-Entwicklern das Potential von XML begreiflich zu machen. Implementierungen wie das Vektorgrafik-Format SVG [Wikipedia] schafften es nicht, sich wirklich auf breiter Front durchzusetzen. Und selbst XHTML [Wikipedia], das XML-basierte HTML, wurde vielfach nur völlig unreflektiert für das „neue und bessere HTML” gehalten. Mittlerweile, da an HTML 5 gearbeitet wird, schlägt diese Stimmung wieder um, und das XML-basierte HTML wird für die Masse der Anwender wieder uninteressant.
Zu den XML-Implementierungen, die wirklich erfolgreich wurden, zählen dagegen die Markupsprachen RSS [Wikipedia] (Really Simple Snydication) und Atom [Wikipedia]. Beide bieten die Möglichkeit, einzelne Artikel zu beschreiben. Atom ist das ausgereiftere der beiden Formate, doch RSS ist das ältere und immer noch verbreitetere. In der Praxis sind beide problemlos verwendbar, da moderne Feed-Reader beide Formate verarbeiten.
Feed-Reader in Form einer eigenständigen Desktop-Anwendung
Feed-Reader gibt es als Desktop-Anwendungen, die auf dem eigenen Rechner laufen, aber auch in Form von Webanwendungen im Netz. Bekannt sind beispielsweise die web-basierten Feed-Reader Google Reader [Produkt wurde eingestellt] und Bloglines [Produkt wurde eingestellt].
Ein Feed besteht aus einer beliebigen Anzahl einzelner Nachrichten (News-Artikel, Blog-Einträge, Microblog-Beiträge). Zu jedem Feed-Eintrag werden Datenfelder wie Zeitstempel der Veröffentlichung, Titel, Autor, Anlesertext und Volltext gespeichert. Der Volltext wird häufig als Non-Parsing-Bereich definiert und erhält HTML-formatierten Text als Inhalt. Auf diese Weise sind auch Richtext-Inhalte in Feeds möglich. Im Feed-Reader werden die Einträge üblicherweise nach Veröffentlichungszeitstempel absteigend sortiert präsentiert.
Fast alle bekannten Content Management Systeme und Blog-Software-Produkte unterstützen das automatisierte Bereitstellen von RSS- oder Atom-Feeds. Die Feed-Dateien werden entweder als statische XML-Dateien im öffentlich zugänglichen Verzeichnisraum einer Website abgelegt, oder ein Script wird aufgerufen, das den Feed zur Laufzeit dynamisch generiert. Redaktionell ist dabei kein zusätzlicher Aufwand erforderlich. Wichtig ist nur, die Feed-URL auf der Website zu veröffentlichen, damit Interessierte von der Existenz des Feeds erfahren.
Endanwender können in ihren Feed-Readern Feeds abonnieren, die sie interessieren. Dazu geben sie einfach die HTTP-URIs der Feeds an. Der Vorteil von Feed-Readern für Endanwender besteht darin, dass sie damit große Nachrichtenmengen unterschiedlicher Anbieter unter einer einheitlichen, für sie übersichtlichen Oberfläche lesen können. Gerade Journalisten und Blogger, die selbst sehr viele andere Quellen auswerten müssen, wissen das zu schätzen.
Der Loslösung der Inhalte aus ihrer originären Website-Umgebung stehen zwar manche Anbieter misstrauisch gegenüber. Es gibt auch durchaus kritikwürdige Negativwirkungen. So bestehen nicht wenige Blogs darin, Inhalte aus Feeds diverser anderer Blogs in ihr Weblayout einzuspeisen, ohne sonst eigene Inhalte anzubieten. Demgegenüber stehen jedoch auch unbestreitbare Vorteile. So fördert das zusätzliche Anbieten von Feeds in jedem Fall die Verbreitung von Nachrichten. Nicht nur Inhalte lösen sich von ihrem Ursprungsort, und Anbieter von Inhalten müssen sich von der Vorstellung lösen, dass ihre Inhalte nur an der Original-Webadresse konsumiert werden.
Im Web 2.0 lösen sich aber nicht nur Inhalte von ihren ursprünglichen Orten. Auch ganze Webanwendungen verrichten ihren Dienst für andere Anbieter.
Webservices bestehen darin, dass eine Webanwendung von einer anderen Webanwendung in kontrollierter, standardisierter Form Daten abfragen kann. Die anfordernde Webanwendung wird dabei als Service-Konsument oder Service-Client bezeichnet, und die ausliefernde Webanwendung als Service-Anbieter oder Service-Server. Die Anfragen und Antworten der Kommunikation zwischen den Webanwendungen wird mittels XML abgewickelt. Das bekannteste und leistungsfähigste XML-Format für diesen Zweck ist das Simple Object Access Protocol (SOAP). SOAP spielt jedoch wegen seiner Komplexität und seiner Möglichkeiten heute nur im Business-to-Business-Bereich eine gewisse Rolle. Um „mal eben“ ein Set definierter Daten anzufragen und zu senden, haben sich daneben noch andere, schlichtere Lösungen etabliert, beispielsweise WDDX (steht für Web Distributed Data Exchange).Insgesamt blieb diese Form der Integration von gezielt abgefragten Fremddaten in eigene Inhalte jedoch bislang hinter den Erwartungen zurück. Beliebter sind stattdessen Lösungen, die sich ohne serverseitigen Programmieraufwand einbetten lassen: Widgets und Gadgets.
Das Konzept der Widgets [Wikipedia] im Web (es gibt auch Desktop-Widgets, doch von denen ist hier nicht die Rede) ist einer der vielen erfolgreich gewordenen Anwendungsfälle der Ajax-Schnittstelle. Es handelt sich um fertige HTML-Inhalte, die von einer fremden Webanwendung dynamisch generiert und über Ajax-Aufrufe gezielt in eine Webseite eingefügt wird. Im Gegensatz zu Webservices ist dabei keine Server-zu-Server-Kommunikation erforderlich. Es müssen also keine Entwickler von Webanwendungen dafür sorgen, dass ein Fremdinhalt auf eine Webseite gelangt, sondern Redakteure und Webautoren können das selbst bewerkstelligen. Anbieter von Widgets bieten dazu den HTML-Code für die erforderlichen JavaScript-Aufrufe gleich an. So wird das Einfügen in eigene Webseiten zum Kinderspiel.
Da die Inhalte, die von der Widget-Anwendung geliefert werden, stets in einen bestimmten Webseitenbereich (in ein bestimmtes HTML-Element) geschrieben werden, werden Widgets häufig auch optisch als Boxen dargestellt, nicht selten in auffälligem Layout. Deshalb hat sich auch der Alternativausdruck Gadget [Wikipedia] dafür eingebürgert. Eigentlich versteht man unter einem Gadget ein kultiges und design-bewusstes technisches Kleingerät. In den Anfangszeiten von Web 2.0 war auch häufig von Mashups die Rede, doch dieser Ausdruck hat sich nicht so stark durchgesetzt.
Netvibes.com-Startseite mit Widgets
Mit Hilfe von Widgets lassen sich in Minutenschnelle attraktive Übersichtsseiten mit verschiedenen Inhalten erstellen. So können sich Endanwender bei Anbietern wie Netvibes oder iGoogle [Produkt eingestellt] persönliche Browser-Startseiten, bestehend aus Widgets, zusammenklicken. Die gleichen Widgets lassen sich aber auch in andere eigene Webseiten einbetten. Egal ob Wetterbericht, Börsenkurse, wechselnde Zitate oder Witze, Wörterbücher, aktuelle Nachrichten, Tetris oder Sudoku: fast alles lässt sich in Form von Widgets einbinden.
Unzählige Anwender nutzen das Web, und sie haben sehr unterschiedliche Ziele, Interessen und Arten, Informationen aus dem Web zu verarbeiten. Es ist deshalb nur natürlich, wenn Web-Inhalte, die häufig verlangt oder in unterschiedlichen Zusammenhängen benötigt werden, nicht mehr nur an einer Stelle in einer bestimmten, statischen Form angeboten werden.